Klasse 3a der Grundschule am Gernerplatz, Puchheim (Schuljahr 2016/17)

…Die blinde Rosenblau, deren Gehör ja weit besser trainiert war als das der meisten Menschen, vernahm diese Schritte schon, als sie noch sehr weit weg waren. Rasch wisperte sie ihrem Freund zu: „Da kommt jemand, es sind mehrere. Wir müssen uns verstecken, aber nicht bei diesen Brombeeren. Die sind mir nicht geheuer, vielleicht sind sie verzaubert. Siehst du etwas anderes, wo wir uns verstecken können?“
„Na ja“, gab Rußschwarzchen zur Antwort, „auf der anderen Seite von den Brombeeren, da ist erst so niedriges Buschzeugs, aber dahinter stehen ein paar Bäume ganz nah bei einander. Mindestens 5 oder 12, so viele kann ich nicht zählen.“
„Dann schnell, führ mich dorthin. Aber vorsichtig, uns darf niemand sehen oder hören. Vielleicht kommen die Räuber.“ Instinktiv ging Rosenblau auf alle Viere, um sich kleiner zu machen. Auch der Junge ging in die Hocke, dann kroch er voran. Das Mädchen folgte ihm so dicht, dass sie seine Bewegungen erspüren konnte. Kaum hatten sie sich hinter den Bäumen in Sicherheit gebracht, tauchten auch schon mehrer schwarz gekleidete Gestalten auf, schwarze Tücher vor den Gesichtern. Im Gänsemarsch kamen sie auf dem schmalen Pfad durch den Wald, vor dem Brombeergestrüpp blieben sie stehen. Einer nach dem anderen ging in die Hocke und kroch hinter die Brombeerbüsche, so verschwanden sie alle. War da eine Höhle? Oder ein Geheimgang?
Nach einer Weile war nicht einmal mehr das Rascheln von Zweigen zu hören. Da fragte Rosenblau: „Wohin sind sie? Was haben sie gemacht! Wie viele sind sie?“
Ihr Freund beschrieb alles, was er gesehen hatte, so gut er konnte, schließlich meinte er noch: „Wie viele sie waren, kann ich nicht genau sagen, du weißt ja, beim Zählen tue ich mir immer so schwer. Aber es waren mehr, als der Oberbauer in unserem Dorf immer Schafe auf die Weide führt.“
Rußschwarzchen konnte ja kaum Rechnen, aber auf diese Weise verstand das blinde Mädchen: „Aha, ungefähr acht also, und schwarz gekleidet, bestimmt waren es die Räuber. Und hinter diesen komischen Brombeeren, die im Mai ja gar nicht wachsen können, sind sie verschwunden. Vielleicht ist dahinter der Eingang zu ihrem Räuberversteck. Oh, jetzt höre ich wieder Schritte, ich glaube, sie kommen zurück.“ Die beiden Jugendlichen verharrten regungslos hinter den Bäumen, sie wagten kaum zu atmen.
Nach einander krochen die schwarzen Gestalten hinter dem Brombeergestrüpp hervor, dort musste also wirklich der Eingang zu einer großen Höhle sein. Diesmal waren es aber deutlich mehr als vorher, das konnte auch Rosenblau hören. Anscheinend hatten die Räuber ihre Kumpane geholt. Ob die Höhle jetzt leer war? „So, Leute“, hörte sie einen der Männer mit tiefer Bassstimme sprechen. „Dann wollen wir uns mal den Schatz holen. Gut, dass ihr den gefunden habt. Jetzt werden wir reich. Auf geht’s, Männer!“ Er war offenbar der Anführer.
Ein anderer gab zu bedenken: „Soll nicht doch einer von uns hier bleiben? Damit der Prinz nicht abhaut.“
„Keine Sorge,“ entgegnete eine krächzende Frauenstimme, „der ist gefesselt, allein befreit sich der nicht. Und ihr habt ja gesagt, der Schatz ist so groß, wir müssen alle beim Tragen mithelfen. So eine Last trage ich sogar gerne, hähä…“ Daraufhin verschwanden die Räuber auf dem gleichen Weg, auf dem die acht Räuber zuvor gekommen waren.
Die beiden Jugewndlichen warteten, bis sie sicher sein konnten, dass die Räuber weg waren. Dann krochen sie unter den Brombeersträuchern hindurch, Rußschwarzchen wieder voran. Dahinter entdeckten sie wirklich den Eingang zur Räuberhöhle, diese aber war sehr tief, kaum drang Licht durch das Gestrüpp hinein. Nach ein paar Schritten waren sie von völliger Dunkelheit umgeben. „Ich sehe nichts mehr,“ murmelte Rußschwarzchen ängstlich. „Wie soll ich dich weiter führen?“
Rosenblau lachte leise: „Dann tauschen wir die Rollen. Ich bin es ja gewohnt, bei mir ist immer Dunkelheit. Komm, ich führe jetzt dich.“ Und schon tastete sie sich an der Wand der Höhle entlang an Rußschwarzchen vorbei und weiter vorwärts. Der Nachbarjunge folgte, in ihrer Nähe fühlte er sich immer sicher.
Plötzlich blieb Rosenblau ruckartig stehen. „Scht!“ machte sie nur, dann lauschte sie angestrengt. Weiter drinnen in der Höhle, einige Meter entfernt, hörte sie ein Scharren und Schaben. Dann leise gestöhnte Worte: „Die Räuber sind weg, ich muss diese vermaledeiten Fesseln aufkriegen. Heiliger Leonhard, steh mir bei!“
Das konnte nur der Prinz sein, der die Gunst der Stunde nutzen und sich von den Fesseln befreien wollte. So schnell es ihnen im Dunkeln mögich war, eilten die beiden zum Prinzen, dem Rosenblau sofort zuflüsterte, dass sie gekommen seien, um ihm zu helfen. Mit ihren geschickten Händen war es ihr ein Leichtes, in der völligen Dunkelheit die Knoten der Fesseln zu lösen. Dann schlichen die drei unter ihrer Führung wieder zum Ausgang der Höhle, krochen unter den Büschen hindurch (an denen sich alle blutende Schrammen von den harten Brombeerdornen holten) – und schon flohen sie gemeinsam durch den Wald dem Königsschloss zu. Natürlich bemerkte der Prinz bald Rosenblaus Blindheit, ihm fiel ein, dass er das schöne Mädchen schon am Tag zuvor im Dorf gesehen hatte – und er bewunderte ihren Mut und ihre Geschicklichkeit. Und den Mut ihres Freundes nicht minder.
Lange dauerte es, bis sie zum Schoss gelangten, denn der Weg war weit. Aber sie hatten sich so viel zu erzählen, dass ihnen die Zeit kurz erschien. Als die Ritter von innen das Schlosstor öffneten, gab es ein großes Hallo und viel Freudentränen, noch mehr Freudentränen vergoß der glückliche König über die Rettung des Sohnes.
Plötzlich ertönte lautes Wehgeschrei vor dem Schloss, außerdem ein grässliches Gebrüll und Gefauche. Was war das? Vom Wehrgang hinter der Mauer herab blickten sie alle durch die Schießscharten (außer Rosenblau, die nicht nach unten zu schauen brauchte, sie suchte sich vielmehr einen Platz, von dem aus sie gut hören konnte). Völlig außer Atem und vor Angst und Anstrengung keuchend schleppten sich die Räuber samt Anführer und Hexe zum Schloss – dorthin gejagt und verfolgt von einem furchtbaren Drachen, der hinter ihnen Feuer aus seinem riesigen Maul spuckte. Schon standen sie vor dem geschlossenen Tor und baten flehend um Einlass, der Drache drohte sie zu verbrennen.
Die Ritter aber rührten sich nicht. Schließlich begann der Drache mit dröhnender Stimme zu sprechen: „Ihr Winzlinge habt meinen Schatz gestohlen. In meine Drachenhöhle seit ihr geschlichen und habt den Schatz hinausgetragen. MEINEN Schatz den ICH bewache. Das sollt ihr mir büßen. Ich werde euch verbrennen!“
„Hilfe, nein!“, schrien alle Räuber wie aus einem Munde. „Wir bringen den Schatz auch wieder zurück, das versprechen wir!“
„Wehe, wenn nicht!“, drohte der Drache. „Aber Zurückbringen reicht nicht. Zur Strafe müsst ihr Räuber etwas Gutes tun. Bei euch ist doch eine Hexe. Sie soll dieses blinde Mädchen da oben auf der Mauer wieder gesund machen. Und den Jungen daneben auch.“
„Das Mädchen will ich gesund machen,“ beteuerte die Hexe sofort. „Gegen Blindheit kenne ich einen Zauberspruch. Aber bei dem Jungen weiß ich nicht, was ich zaubern soll. Bitte, bitte, lieber Drache, tu uns nichts…“
Schon sprach sie eine Zauberformel, und Rosenblau auf der Mauer entfuhr ein leiser Schrei: „Auf einmal ist alles so anders, hier oben in meinen Augen. Ist das Sehen? Sind das Farben?“
Rußschwarzchen neben ihr verstand nicht, was sie meinte. In seinem Kopf war ein anderes Probem: „Meint der Drache mich mit dem Jungen, der gesund werden soll? Aber ich bin doch gar nicht krank. Mein Kopf ist nur anders als der Kopf von anderen Menschen. Ich bin nicht krank!“ Die letzten Worte sagte er sogar ein bisschen trotzig.
Da holte der Prinz tief Luft, alle anderen verstummten. Mit ruhiger Stimme verkündete der Prinz eine Entscheidung: „Ich habe Rußshwarzchen inzwischen ein wenig kennen gelernt und glaube, er ist glücklich so, wie er ist. Vielleicht sogar glücklicher als manch anderer. Ritter, öffnet das Tor und verhaftet die Räuber und die Hexe. Sie alle sollen eingesperrt werden. Aber bevor sie ins Gefängnis kommen, sollen sie den ganzen Schatz zurück in die Drachenhöhle tragen. Denn der Schatz gehört dem Drachen.“ Dieser grunzte zufrieden.
Doch der König unterbrach seinen Sohn: „Ich habe versprochen, demjenigen, der dich befreit 1000 Goldtaler zu zahlen. Wer soll die Belohnung bekommen?“
„Bevor ich darauf antworte, muss ich erst meine Retterin etwas fragen.“ Der Prinz blickt zu Rosenblau, die ihn mit großen Augen anstrahlte: „Du schönes Mädchen, ich habe mich von Anfang an in dich verliebt. Willst du meine Prinzessin werden?“
Rosenblau lächelte, sacht nickte sie.
Der Prinz fuhr fort: „Dann brauchst du das Geld nicht, denn im Schloss hast du immer genug. Und Rußschwarzchen macht sich nichts aus Geld, dem ist eine andere Belohnung bestimmt lieber. Also soll der Drache zu seinem Schatz auch noch die 1000 Taler bekommen, denn er hat die Räuber gefangen.“ Erfreut blies der Drache Feuer in die Luft, bevor der Prinz fortfuhr: „Rußschwarzchen, welche Belohnung wünschst du dir denn?“
Dieser zögerte keine Sekunde: „Weihnachtsplätzchen! Die schmecken mir am allerbesten. Aber bitte gaaaaanz viele. Mindestens mehr als … ähhh… sieben!“
Der Prinz lachte: „Ich werde sofort dem Koch Bescheid sagen: Von jetzt an sollen dir immer Weihnachtsplätzchen ins Dorf geschickt werden, so oft du nur willst. Egal ob es Dezember ist oder Juli.“ Rußschwarzchen klatschte begeistert in die Hände, und Rosenblau auch.
Bald wurde im Schloss eine große Hochzeit gefeiert, zu deren Feier der Drache ein unvergessliches Feuerwerk an den Nachthimmel blies. Alle Menschen in jenem Land lebten lange Zeit glücklich, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

© Bertram der Wanderer und Klasse 3a

Fähigkeiten

Gepostet am

18. November 2019

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