Klasse 3a der Grundschule an der Astrid-Lindgren-Straße, München (Schuljahr 2018/19)

… Zunächst hatte Rosenblau geglaubt, Schritte zu hören, aber bald wurde ihr klar, dass es sich um das Getrappel von Pferdehufen handelte. Die Räuber konnten das nicht sein, die waren zu Fuß unterwegs, ihr Freund Rußschwarzchen hatte ihr bei der Suche nach den Räubern die Spuren vom Pferd des Prinzen und von mehreren Männerstiefeln beschrieben. Wer mochten die Reiter sein, die sich da näherten? Und ob sie auf dem schmalen Pfad wirklich hierher kamen?
„Rußschwarzchen, da kommen irgendwelche Reiter, ich höre viele Pferde…“
„Dann sind das bestimmt die Ritter. Die wollen den Prinzen suchen. Aber wir wollen ihn finden, damit wir die Belohnung kriegen.“ Der Junge konnte mit seiner Idee schon Recht haben. Vielleicht waren die Ritter wieder aufgebrochen, um den Prinzen zu retten? Das blinde Mädchen überlegte: Sollten sie zu den Rittern gehen und denen diese eigenartigen Brombeersträucher zeigen? An welchen jetzt im Mai schon reife Früchte hingen? Vielleicht war das ein wichtger Hinweis, um den Prinzen zu befreien…
Noch ehe sie ihre Gedanken zu Ende sortieren konnte, wurde sie von Rußschwarzchen schon am Handgelenk gepackt und vorsichtig zur Seite und nach vorne gezogen. „Schnell, wir müssen uns vestecken, bevor die Ritter uns entdecken. Sonst nehmen die uns die Belohnung weg“, flüsterte er aufgeregt und zog sie hinter das Brombeergestrüpp, dabei war er trotz seiner Aufregung sehr umsichtig mit ihr. Er war es einfach gewohnt, auf ihre Blindheit Rücksicht zu nehmen.
Aus irgendwelchen Gründen gab es eine Art Weg, der seitlich hinter die Brombeersträucher führte. Sehr schmal und niedrig, und bestimmt von vorne kaum sichtbar, Rußschwarzchen drückte ihren Kopf und den Oberkörper behutsam nach unten, damit sie sich an den Brombeerdornen nicht verletzte. Dann kauerten sie sich auf den Boden, bestimmt konnte sie vom Weg aus niemand sehen. Gute Verstecke finden, das konnte Rußschwarzchen, er hatte es im gemeinsamen Spiel unzählige Male bewiesen.
Das Mädchen lauschte angestrengt: Die Hufgeräusche wurden langsamer, dann blieben die Reiter stehen. Als sie sich beim Absitzen aus den Sätteln zu Boden schwangen, zählte sie mit, wie oft sie das Aufplatschen harter Männerstiefel vernahm: sieben Reiter waren es wohl. Leise sprachen diese mit einander, was aber leider nicht zu verstehen war, dann gingen sie zu Fuß weiter auf dem Weg, der zu den Brombeersträuchern führte.
Gleichzeitig fiel Rosenblau noch etwas auf: Von der entgegengesetzten Seite spürte sie einen kühlen Lufttzug, es roch modrig. „Rußschwarzchen, was ist da hinter den Brombeeren?“, fragte sie wispernd.
„Ein großes Loch in einer Art Hügel. Da geht es in eine Höhle rein. Meinst du, das ist die… Räuberhöhle?“ Beim letzten Wort überschlug sich seine Stimme fast vor freudiger Erregung.
In Rosenblaus Kopf ratterten die Gedanken wie in einem Windrad bei Sturm. Hatten sie wirkich das Räuberversteck gefunden? Ob die Räuber weggegangen waren? Aus der Tiefe der Höhle vernahm sie keinen Laut. Aber wenn die Ritter sie hier entdeckten, direkt bei der Räuberhöhle, würden sie dann denken, dass die beiden ebenfalls zu den Räubern gehörten? Würde man sie gefangen nehmen? Da fasste sie einen Entschluss: sie sollten versuchen, sich in der Räuberhöhle zu verstecken. Doch mussten sie auf der Hut sein, falls die Räuber doch da waren.
Als sie ihrem Freund mit wenigen Worten flüsternd von ihrer Idee erzählte, war der sofort begeistert. Schon führte er sie in die Höhle hinein, bald aber war es dort so dunkel, dass er sich immer langsamer vorwärts tastete. Nur für Rosenblau machte die Dunkelheit in der Höhle keinen Unterschied. Nach etwa fünfzig Metern blieb er plötzlich stehen und musste sich beherrschen, um nicht laut hinauszuplatzen: „Schau mal, lauter Goldmünzen! Und glitzernde Steine. Sehen so Edelsteine aus?“ In seiner Aufregung vergaß er ganz, dass sie das alles gar nicht sehen konnte. Ob sie den Räuberschatz gefunden hatten?
„Weiter! Hier dürfen uns die Räuber auf keinen Fall erwischen. Geht die Höhle noch weiter?“, fragte sie leise, und Rußschwarzchen antwortete: „Ja, noch ein ganzes Stück. Hier links ist eine Abzweigung, ein schmaler Gang.“ Sie zeigte mit der Hand kurz dorthin, und er verstand, dass sie in diese Abzweigung hinein wollte. Vielleicht waren sie da sicher vor den Räubern? Nach einigen Schritten aber kam ihr ein leises Geräusch zu Ohren, reglos verharrte sie und lauschte. Der Junge tat es ihr nach. Vom Boden dieses Gangs her kamen gleichmäßige Atemgeräusche, allerdings ein bisschen gepresst, wie wenn jemandem der Mund zugehalten wird. Oder wie wenn jemandem mit einem Tuch der Mund zugebunden worden war. Hatten sie den Prinzen gefunden? Lag der hier gefesselt und geknebelt?
Ohne zu zögern tastete sich Rosenblau näher, ihre geschickten Finger fühlten einen am Boden liegenden Körper, mit dicken Stricken gefesselt, aber schon hatte sie einen Knoten gespürt. Noch ehe ihr Freund begriff, was sie hier gefunden hatten, hatte sie bereits in der sie umgebenden völligen Dunkelheit (die für sie ja der Normalzstand war) die Knoten der Stricke gelöst, ebenso den Knebel, der den Prinzen am Sprechen gehindert hatte. Dieser atmete erst einmal tief durch, dann flüsterte er: „Wer seid ihr?“
„Ich bin Rosenblau, wir sind uns gestern schon begegnet, königliche Hoheit.“ Der Prinz staunte nicht schlecht, dass ausgerechnet das blinde Mädchen ihn nun befreit hatte. Aber sie hielten sich nicht lange auf. Da die Räuber, wie der Prinz von ihnen erlauscht hatte, nur kurz weggegangen waren, mussten sie schnellstmöglich fliehen. Außerdem wusste der Prinz noch etwas: der schmale Gang, in dem er gefangen war, führte zu einer Art Geheimausgang, denn gestern waren ein paar Räuber dorthin verschwunden und nicht zurückgekehrt. Gemeinsam versuchten die drei nun, so aus der Räuberhöhle zu entkommen.
Die Ritter waren inzwischen zu Fuß beim Eingang zur Räuberhöhle angelangt und hatten die Brombeeren entdeckt. Ihnen knurrte der Magen vor Hunger, schließlich war die Mittagszeit längst vorbei. Beim Anblick der reifen Beeren konnten sie nicht widerstehen. Ohne nachzudenken begannen sie, sich Beeren gierig in den Mund zu stopfen. Aber kaum hatte einer von ihnen drei Beeren gegessen, fiel er in tiefem Schlummer auf den Boden. Lautes Schnarchen erfüllte den Wald.
Bald darauf kehrten die Räuber angeführt von der Hexe zu ihrer Höhle zurück und fanden die schlafenden Ritter. Und da diese ja vornehme Männer sind, wollten die Räuber sie zu dem gefangenen Prinzen legen und dann noch mehr Lösegeld erpressen. Natürlich merkten sie sofort, dass der Prinz geflohen war. Wütend beschloss die Hexe, noch mehr Geld für die Freilassung der Ritter zu fordern.
Der Prinz aber wanderte mit seinen beiden Rettern zum Schloss, wo der König seinen Sohn glücklich in die Arme schloss. Allerdings nicht lange, denn der Prinz gab gleich wichtige Anordnungen: Andere Ritter sollten in den Wald zur Räuberhöhle reiten, die Räuber festnehmen und ihre schlafenden Kameraden in Sicherheit bringen. Dank ihrer großen zahlenmäßigen Überlegenheit gelang dies den Rittern auch. Der Hexe nahmen sie sämtliche Kräuter weg, so das sie nicht mehr zaubern konnte. Zur Strafe wurden die Räuber und die Hexe im finstersten Kerker eingesperrt.
Schon bald nach seiner glücklichen Rettung fiel der Prinz vor Rosenblau auf seine Knie und bat sie, seine Frau zu werden. Das Mädchen willigte lächelnd ein, aber nur unter der Bedingung, dass ihr Jugendfreund Rußschwarzchen die versprochene Belohnung von eintausend Goldtalern bekäme und mit ihnen im Schloss leben dürfe, was der Prinz gerne gestattete.
„Tausend Taler?“, fragte der Junge enttäuscht. „Was soll ich denn damit? Die kann man doch nicht essen. Ich dachte, wir kriegen Weihnachtsplätzchen?“
Rasch fragte der König, was das zu bedeuten habe, und erfuhr so von der außergewöhnlich großen Vorliebe Rußschwarzchens für süßes Gebäck. Der weise König begriff, dass man Rußschwarzchen mit Geld gar keine wirkliche Freude machen komte, und wandelte die Belohnung um: Der Junge durfte im Schloss leben und bekam Weihnachtspätzchen auch das gaze Jahr über, sooft er wollte.
Wenig später heirateten der Prinz und Rosenblau, und zusammen mit Rußschwarzchen lebten sie überglücklich im Schloss.
Die Bauern aus dem kleinen Dorf aber bewunderten ihre beiden jugendlichen Helden. Und noch heute erzählt man in der ganzen Gegend voll Stolz diese Geschichte.

© 2018 Bertram der Wanderer und die Kinder der Klasse 3a der Grundschule an der Astrid-Lindgren-Straße, München

Fähigkeiten

Gepostet am

18. November 2019

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