Klasse 3/4 a der Grundschule am Gernerplatz, Puchheim (Schuljahr 2016/17)

… Rosenblau hatte diese Schritte schon gehört, als die Person, die sich hier näherte, noch sehr weit weg war. Denn die Ohren des Mädchens waren ja weit besser als das Gehör anderer Menschen. Schnell wisperte sie ihrem Freund Rußschwarzchen zu: „Da kommt jemand, wir müssen uns verstecken. Siehst du hier irgendwo ein Gebüsch, außer diesen Brombeeren?“
„Ja, gleich neben dir, nur ein paar Schritte.“ Rußschwarzchen tippte seine blinde Freundin an der rechten Schulter an, die verstand und kroch sogleich auf allen Vieren in diese Richtung. Auch Rußschwarzchen wollte zu dem Gebüsch laufen, doch leider stolperte er über einen langen Ast, der hier im Wald auf dem Boden lag. Mit einem Aufschrei stürzte er, und das auch noch so unglücklich, dass er mit dem Kopf auf einem großen, runden Stein aufschlug. Nür für einen ganz kurzen Augenblick war er bewusstlos, aber als er die Augen wieder öffnete, hatte er völlig vergessen, wer er war und was er hier wollte. Durch den Schlag hatte er eine schlimme Gedächtnislücke, eine Amnesie, bekommen.
Das blinde Mädchen wollte ihn gerne zu sich ins Gebüsch ziehen, doch wie sollte sie das tun? Also flüsterte sie ihm nur zu, er solle zu ihr kommen, aber dann wurden die herannahenden Schritte immer lauter: Die Hexe, die bei den Räubern lebte, hatte Rußschwarzchen entdeckt!
„Wer bist du? Was willst du hier?“, fauchte sie ihn an.
„Ich … äääh, nichts, ich heiße … äh, ich glaube… vielleicht Max, und ich bin hier, weil ich ein Räuber bin!“ Seine letzten Worte kamen rasch, laut und klar aus seinem Mund, irgendwie musste in seinem Kopf ein Erinnerungsfetzen an die Räuber aufgetaucht sein.
„Du meinst, du willst wohl ein Räuber werden,“ wies ihn die Hexe zurecht. „Nun gut, dann komm mit!“
Rußschwarzchen stand vom Boden auf, ihm war dabei nicht schwindlig, sein Kopf hatte nur eine kleine Beule, er blutete nicht einmal. Dann trottete er neben der Hexe her, die ihn in die Räuberhöhle hineinführte. Am Eingang, der sich direkt hinter den Brombeersträuchern befand, merkte Rußschwarzchen, dass sich die Schleife der Schürze, die er seit dem Morgen noch immer trug, gelöst hatte. Sie baumelte ihm nun vor den Füßen, da riss er sie sich über den Kopf und warf sie achtlos hinter sich auf den Boden. Ein Räuber mit Schürze schien ihm irgendwie unpassend.
Rosenblau in dem Gebüsch gegenüber versuchte vergeblich, die Richtung der sich entfernenden Schritte zu erlauschen.
In der Räuberhöhle brachte die Hexe Rußschwarzchen, der sich nun Max nannte, direkt zum Räuberhauptmann. Dieser kratzte sich den struppigen Bart, nachdem er den Bericht der Hexe gehört hatte, dann meinte er: „Na meinetwegen, einen jungen Nachwuchsräuber können wir schon brauchen. Aber erst musst du dich beweisen. Zeig uns einmal, dass du etwas stehlen kannst. Jetzt sofort. Na los, geh schon!“
„Max“ tat, wie ihm geheißen und stolperte unbeholfen wieder zum Höhleneingang.
Rosenblau war in der Zwischenzeit langsam und fast zentimeterweise aus dem Gebüsch hervorgekrochen. Ihre gut trainierten Ohren waren gespitzt und wachsam wie noch nie, denn sie musste sich rechtzeitig wieder verstecken können, falls die Räuber aus der Höhle herauskämen. Ihr Gefühl für die Richtung wies ihr den richtigen Weg und so kroch sie langsam auf den Höhleneingang zu. Plötzlich bekamen ihre Finger etwas zu fassen: ein Stück Stoff, sie befühlte es weiter, spürte einen daran genähten Stoffgürtel und eine Schlaufe für den Hals – es musste die Schürze von Rußschwarzchen sein. Also war sie auf der richtigen Spur!
Da vernahm sie langsame, tapsige Schritte, die sich aus der Höhle heraus dem Eingang näherten. Schritte, die sie wohl kannte: Rußschwarzchen, und zwar allein! Schnell rollte sie sich vom Eingang weg hinter die Brombeersträucher (dass es die Brombeeren waren, merkte sie bald, als sie sich an den Dornen der Zweige heftig stach). Als sie erlauschte, wie Rußschwarzchen aus der Höhle kam und noch ein paar Schritte weiter getappt war, rief sie leise seinen Namen. Denn da sie aus der Höhle keine Stimmen gehört hatte, vermutete sie, dass die Räuber tief genug in der Höhle sein mussten, so dass diese auch keine Geräusche von draußen hören konnten.
Rußschwarzchen aber hielt sich ja für ‚Max‘, und an Rosenblau konnte er sich noch immer nicht erinnern. „Uii, da ist ja schon jemand zum Ausrauben!“, rief er und wollte sich gleich auf Rosenblau stürzen. Die aber summte geistesgegenwärtig genau das Lied, das die beiden als Kinder immer gemeinsam gesungen hatten. Der Junge hielt inne: Dieses Lied kannte er sehr gut, aber woher? Irgendwie fühlte er, dass da eine Art Erinnerung war, er verstand den Zusammenhang noch nicht, aber es fühlte sich sehr vertraut und gut an.
„Rußschwarzchen, ich bin es,“ flüsterte Rosenblau.
„Aber, ich… heiße doch Max… oder???“ In ihm keimte ein Zweifel auf.
Langsam und geduldig erklärte Rosenblau ihrem Freund, was geschehen war. Sie vermutete auch, dass der Gedächtnisverlust auf den Sturz zurückzuführen war, dessen Geräusche sie ja gehört hatte. Rußschwarzchen tastete ein bisschen an seinem Kopf herum – ja, da war eine Beule. Also begann er, Rosenblau zu glauben. Es dauerte eine ganze Weile, die Nacht war inzwischen längst hereingebrochen. Aber Rosenblau erzählte immer wieder, warum sie und ihr Freund hier waren – bis die Erinnerung in Rußschwarzchen allmähich zurückkehrte. Es ging um den Prinzen, und den mussten sie befreien!
Jetzt war Rußschwarzchen kaum noch zu bremsen. Am liebsten wäre er in die Höhle gestürmt. Rosenblau aber hielt ihn zurück, gemeinsam krochen sie vorsichtig hinen – und dann vernahm das Mädchen ein lautes Schnarchen: die Räuber waren inzwischen tief eingeschlafen und schnarchten um die Wette. Hoffentlich schlief auch die Hexe!
Rußschwarzchen, der ja vorher in der Höhle gewesen war und dort auch einen gefesselten jungen Edelmann in einer Ecke erspäht hatte, führte seine blinde Freundin langsam kriechend weiter, schließlich an den schnarchenden Räubern vorbei, bis zum Prinzen. Mit erstaunlich geschickten Händen löste Rußschwarzchen dessen Fesseln, und schon schlichen alle aus der Höhle hinaus.
Draußen bedankte sich der Prinz überschwänglich bei seinen Rettern. Dann eilte er schnellsmöglich zum Königsschloss und rief alle Ritter zusammen. Mit diesen galoppierte er zurück, alle Räuber und auch die Hexe wurden verhaftet und bestraft, so wie sich das gehört.
Rosenblau und Rußschwarzchen bekamen natürlich die vom König versprochene Belohnung – aber noch mehr. Der Prinz hatte das blinde Mädchen, das ihm doch schon in dem Dorf aufgefallen war, und das er von da an nicht vergessen konnte, längst erkannt – und wenn sie einverstanden war, dann gab es bald eine wundervolle Hochzeit in diesem schönen Königsschloss.
Fortan lebten alle glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie auch heute noch.

© Bertram der Wanderer und Klasse 3/4 a

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Gepostet am

18. November 2019

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