Hortkinder von Konfetti e.V., München (Mai 2017)

… Selbst Rosenblau mit ihrem gut trainierten Gehör konnte diese Geräusche, die da langsam näher kamen, nicht gleich als Schritte erkennen. Langsame, schlurfende Geräusche waren das, aber sehr kurz und leise, von einer Art Murmeln begleitet. „Sei mal still,“ raunte sie ihrem Freund Rußschwarzchen zu. „Ich höre etwas. Dreh dich vorsichtig um, vielleicht kannst du etwas sehen. Es könnte ein kleines Tier sein, vielleicht ein Fuchs? Aber spricht der?“
Während sich Rußschwarzchen unsicher umwandte, konnte sie sogar einen gemurmelten Satz von diesem eigenartigen Wesen verstehen: „Zu dumm, Blaubeeren gibt es auch noch nicht. Ich hab so Hunger.“
„Da kommt ein kleines Männchen“, flüsterte Rußschwarzchen. Es hat eine rote Zipfelmütze auf dem Kopf und so einen langen Bart…“
„Ach, ein Zwerg“, antwortete Rosenblau, „deswegen waren die Schlurfgeräusche so kurz, er hat ja ganz kurze Beine.“
Der Zwerg schien die beiden noch nicht bemerkt zu haben, irgendetwas suchte er offenbar, wahrscheinlich Nahrung. Jetzt rief er erfreut: „Oh, da sind Brombeeren. Wunderschöne Brombeeren, an diesem großen Strauch. Die pflücke ich mir gleich!“ So schnell er konnte, rannte er zu dem Brombeergestrüpp.
„Halt, lieber Zwerg!“, rief das blinde Mädchen ohne lange zu überlegen. „Die Brombeeren darfst du nicht essen, die müssen verzaubert sein. Jetzt ist doch Mai, da kann es noch keine reifen Brombeeren geben.“
Verblüfft hielt der Zwerg inne und überlegte. Nach einer Weile antwortete er: „Ja stimmt, da hast du recht. Hab ich ganz vergessen. Wisst ihr, ich hab so Hunger, ich kann gar nicht mehr richtig denken…“
Langsam kam der Zwerg näher, dann saßen alle drei gemeinsam auf dem Waldboden. Der Gnom mit der roten Zipfelmütze dankte den beiden Jugendlichen nochmals für die Warnung, dann erzählte er, dass er ja eigentlich wisse, dass hier im Wald Räuber hausten, und bei ihnen auch eine Hexe. Vor Hunger habe er das nur vergessen. Und Rosenblau berichtete von dem Prinzen, den sie suchten. Dann überlegten sie gemeinsam, was sie zusammen tun könnten. „Das wird nicht leicht sein,“ gab das Mädchen zu Bedenken. „Sogar mit ihrer List mit dem Kuchen konnten die Frauen aus unserem Dorf den Räubern nicht auf die Schliche kommen.“
„Kuchen?“ Der Zwerg wollte das genau wissen. Dann hatte er den rettenden Einfall: Sie könnten ja gemeinsam schnell Kuchen backen, die meisten Zutaten dafür hatte er in seinem Zwergenhaus. Nur keine Milch, stattdessen würden sie den Saft dieser verzauberten Brombeeren verwenden. Bestimmt würden die Räuber diesen Kuchen verschlingen, ohne zu merken, dass der Brombeersaft darin war – und sich dann mit ihrem eigenen Zauber vergiften.
So schnell er auf seinen kurzen Beinen konnte, führte der Zwerg seine neuen menschlichen Freunde zu seinem Zwergenhaus. Aber als sie dort waren, standen sie vor dem nächsten Problem: Das Zwergenhaus war natürlich sehr klein. Rosenblau und Rußschwarzchen passten überhaupt nicht durch die Tür. Wieder war es der Zwerg, der Rat wusste: Er hatte einige Zauberkräuter, mit denen er die beiden Jugendlichen einfach schrumpfen lassen konnte. „Aber müssen wir dann immer so klein bleiben?“, fragte das blinde Mädchen, bevor diese Schrumpfkräuter zum Einsatz kamen.
„Nein, nein“, beruhigte der Zwerg sie, „wenn ihr wieder größer werden wollt, sagt mir nur Bescheid. Da gibt es nämlich noch andere Kräuter, die diesen Schrumpfzauber rückgängig machen. Dann seid ihr wieder so wie vorher.“ Schon bestreute er sie mit seinen Schrumpfkräutern, dann fuhr er fort: „Jetzt kommt nur in mein Haus, wir wollen gleich mit dem Kuchenbacken anfangen. Aber bevor wir den Brombeersaft in den Teig rühren, esse ich ein bisschen Zucker, Mehl und Butter, einfach so. Weil ich doch so Hunger habe.“, kündigte der Zwerg an.
„Die Idee ist echt gut,“ meinte Rußschwarzchen, „weil wir nur den Saft nehmen, werden die Räuber die Brombeeren im Kuchen nicht erkennen. Aber warum hast du die normalen Zutaten nicht vorher schon gegessen?“
Der Zwerg zuckte nur mit den Schultern: „Hab ich nicht drangedacht. Ich sag doch, wenn ich Hunger habe, kann ich einfach nicht gut denken…“
Als der Kuchen fertig war, mussten sich Rußschwarzchen und der Zwerg sehr anstrengen, nicht doch von dem frisch gebackenen, duftenden Backwerk zu naschen. Aber dann hatte der Zwerg noch einen guten Einfall: Er wusste, auf welchem Weg die Räuber oft durch den Wald schlichen. Dorthin wollten sie mit dem Kuchen gehen, und wenn dann Räuber kämen, würde er ihnen vorschwindeln, dass man durch diesen Kuchen sogar unsichtbar werden könnte. Dann könnten die Räuber viel besser stehlen – und bei so einer Aussicht würden die Räuber bestimmt nicht zögern, den ganzen Kuchen aufzuessen.
Genau so machten sie es auch. Bald schon schliefen alle Räuber durch den verzauberten Brombeersaft im Kuchen und schnarchten geradezu um die Wette. Und die Hexe? Die hatte auch Hunger, hatte genau wie die anderen Räuber den Kuchen in sich hineingestopft und sich mit den anderen um die letzten Krümel gestritten. Jetzt schlief auch sie.
Die schnarchenden Räuber ließen sie einfach liegen, denn jetzt galt es ja den Prinzen zu befreien. Und wer konnte wissen, wieviel Zeit sie dazu hatten? Bestimmt war der Prinz in der Räuberhöhle gefangen, aber wo mochte diese sein?
Zum Glück funktionierte das Denken beim Zwerg jetzt wieder besser, und so fiel ihm ein, dass er im Wald mal einen hohlen Baumstamm entdeckt hatte. Dass der Baumstamm hohl war, konnte man von außen aber kaum erkennen, denn er hatte eine Art Tür: große Rindenstücke ließen sich an Türangeln nach hinten klappen. Das hatten die Räuber gebaut, ihr Geheimausgang.
Schnell eilten die drei Freunde nun zu diesem Baum, klappten die Geheimtür auf und krochen in den hohlen Baumstamm. Aber dort war irgendwie kein Boden, alle drei rutschten schräg nach unten in den Berg hinein, wie auf einer riesigen Rutschbahn. Und wo landeten sie? Genau mitten in der Räuberhöhle.
Dort war es stockfinster, aber das bemerkte Rosenblau natürlich nicht, für sie war die Dunkelheit ja normal. Ihre scharfen Sinne sagten ihr schon nach wenigen Sekunden: Hier waren keine Räuber, nur ein Mensch atmete nicht weit von ihnen entfernt, er schien am Boden zu liegen. Und er duftete nach einem edlen Parfum – das war also der Prinz, den Rosenblau am Tag zuvor schon einmal gerochen hatte. In Windeseile war der gefesselte Prinz befreit und alle gelangten über den normalen Eingang der Räuberhöhle wieder in den Wald – genau hinter den verzauberten Brombeersträuchern.
Der Prinz dankte seinen Rettern zunächst nur mit knappen Worten, denn jetzt eilten sie alle auf dem schnellsten Weg ins Schloss.
Der König dort war überglücklich, seinen Sohn wohlbehalten wieder bei sich zu haben. Unverzüglich schickte er seine Ritter in den Wald, die die noch immer schnarchenden Räuber sofort festnahmen und ins Gefängnis warfen. Natürlich bekamen die drei Retter die vom König versprochene Belohnung, die sie gerecht unter sich aufteilen wollten – aber nicht nur das: Dem Prinzen war endlich klar geworden, dass er Rosenblau liebte, und er bat sie, seine Frau zu werden. Die willigte gerne ein, aber nur unter der Bedingung, dass auch Rußschwarzchen im Schloss leben durfte.
Und der Zwerg? Der aß sich erst einmal richtig satt, und dann fiel ihm ein, dass der Oberzwerg des Waldes ihm einmal etwas von ganz besonderen Heilkräutern erzählt hatte. Mit seinem Anteil an der Belohnung wanderte der Zwerg zum Oberzwerg – und der wollte Rosenblau und Rußschwarzchen mit seinen Heilkräutern gerne gesund machen. Auf diese Weise konnte Rosenblau zum ersten Mal im Leben tatsächlich sehen. Und Rußschwarzchens verschleierte Gedankengänge wurden auf einmal klar und klug. So klug, dass der Prinz ihn bat, künftig sein Berater zu werden.
Weil nun alles gut ausgegangen war, ließ der König im Schloss alles für ein großes Fest vorbereiten. Und zu diesem Fest wurden auch die Bauern des armen Dorfes eingeladen. Die staunten nun nicht schlecht, als sie erfuhren, dass die von allen oft verhöhnte Rosenblau als Prinzessin im Schloss leben würde, der von allen für dumm gehaltene Rußschwarzchen als Berater des Prinzen. Da erkannten die Bauern ihre Fehler und baten die beiden um Verzeihung.
So lebten nun alle glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

© 2017 Bertram der Wanderer und die Hortkinder von Konfetti e.V.

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Gepostet am

18. November 2019

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