Kinder der Ferienbetreuung Kirchheim bei München, November 2017

… Allerdings hörte auch Rosenblau mit ihrem gut trainierten Gehör die Schritte erst sehr spät, als diese schon ganz nahe waren. Offenbar versuchte jemand sich heranzuschleichen. Oder wollte er unbemerkt an ihnen vorbei? Bestimmt war es nur einer, und er setzte seine Füße sehr vorsichtig auf den Boden, um möglichst wenig Geräusche zu verursachen. „Rußschwarzchen“, flüsterte sie, „da kommt jemand. Dreh dich mal vorsichtig um.“
Der Kopf des Jungen arbeitete zwar oft nur langsam und schwerfällig, aber sein Gespür war gut genug, um jetzt keine langen Fragen zu stellen. Behutsam drehte er sich um, dann gab er ebenfalls flüsternd zur Antwort: „Ein junger Mann, sehr schön angezogen. Er will sich hinter uns verstecken. Da wird aber seine Hose schmutzig, dann kriegt der bestimmt Ärger…“
Plötzlich rief das Mädchen freudig: „Das muss der Prinz sein, ich erkenne den Duft seines Parfüms. Er hat gestern im Dorf mit mir gesprochen, deshalb erinnere ich mich daran. Rußschwarzchen, da müssen wir uns verbeugen…“ Und sofort machte sie eine Verbeugung in die Richtung, in der sie den Prinzen vermutete. Ihr Freund tat es ihr nach.
Zögerlich kam der Prinz auf sie zu. Bald erfuhren sie, dass dieser tatsächlich von den Räubern gefangen worden war, deren Räuberhöhle sich gleich hier hinter den Brombeersträuchern befand. Aber der Prinz hatte sich befreien können. Als die Räuber nämlich die durch die Zauberbrombeeren außer Gefecht gesetzten Bauern ausraubten und fortschleppten, war nur noch einer zu seiner Bewachung in der Höhle zurückgeblieben. Und der war schon alt und hörte nicht mehr gut. Die Gelegenheit hatte der Prinz genutzt: Er hatte sich aus seinen Fesseln befreit und war unbemerkt aus der Höhle geschlichen. Seinen Mantel hatte er zusammengerollt und in der Ecke der Höhle zurückgelassen, so dass die zurückgekehrten Räuber wohl dachten, er schlafe. Lange hatte sich der Prinz hier in der Nähe in einem Gebüsch versteckt, weil er nicht wusste, wie viele Räuber es insgesamt waren und ob nicht im nächsten Augenblick einer von ihnen auftauchen würde. Als er jetzt Rosenblau und Rußschwarzchen zum Höhleneingang gehen sah, glaubte er, dass die nicht zu den Räubern gehörten, und er versuchte sie zu belauschen. Vielleicht würden sie ihm ja Hilfe bringen? „Und jetzt erkenne ich dich auch,“ sagte er plötzlich zu Rosenblau mit einem Lächeln. „Du bist das hübsche Mädchen, das mir gestern schon in dem armen Dorf aufgefallen ist.“
Doch die unterbrach ihn: „Psst, da kommt noch jemand. Es müssen mindestens fünf recht kleine Leute sein, sie haben kurze Beine und setzen die Schritte immer knapp hinter einander.“ Wie in Zeitlupe drehte sich der Prinz um und versuchte zu erkennen, wen Rosenblau meinte. Denn dass das hübsche Mädchen nichts sehen konnte, das hatte er inzwischen begriffen.
Und wirklich, sieben kleine Männer mit roten Zipfelmützen kamen im Gänsemarsch direkt auf sie zu. Sie machten aber keinen gefährlichen Eindruck, und so blickte er ihnen offen entgegen. Als sie nicht mehr weit entfernt waren, reihten sie sich neben einander auf und machten vor dem Prinzen eine artige Verbeugung. Derjenige von ihnen, der den längsten Bart hatte, war offenbar der Anführer, denn er trat nun einen halben Schritt vor und begann zu sprechen: „Guten Tag, königliche Hoheit. Wir sind die sieben Zwerge und bitten Sie höflichst um Hilfe. Denn wir werden verfolgt. Hier im Wald gibt es nicht nur die junge Hexe, die bei den Räubern lebt, sondern auch eine ganz alte Hexe. Die hat eine kleine Hütte in der Nähe der großen Eiche. Und die will einen ganz fiesen Zaubertrank kochen. Mit uns als Zutat! Für was dieser Zaubertrank gut sein soll, wissen wir auch nicht. Aber wir wollen nicht gekocht werden! Bitte helfen Sie uns! Aber Sie müssen vorsichtig sein, hier ganz in der Nähe ist die Räuberhöhle…“
„Danke, das weiß ich“, entgegnete der Prinz. „Die haben mich nämlich gefangen, sie wollen Lösegeld von meinem Vater erpressen. Ich konnte mich zwar befreien, aber bestimmt werden sie das bald merken.“
„Sind die Räuber jetzt alle in ihrer Höhle?“, fragte der Zwerg mit dem langen Bart, und der Prinz meinte, vermutlich sei das so, aber sicher wisse er es nicht. Da hatten die Zwerge einen tollen Plan: Sie wollten schnell alle Maulwürfe, die im Wald leben, zur Unterstützung herbeirufen. Gemeinsam wollten sie eine Räuberfalle bauen: „Wir Zwerge graben nämlich in Bergen und Hügeln immer nach Gold und Edelsteinen,“ führte der Anführerzwerg aus, „das ist unsere Arbeit. Auch hier im Boden genau unter uns haben wir einen unterirdischen Stollen gegraben. Den wollen wir zusammen mit den Maulwürfen ganz schnell erweitern, bis der Boden nur noch aus einer dünnen Erdschicht besteht.“
„Haha, und wenn die Räuber aus der Höhle rausrennen, dann bricht unter ihnen alles zusammen.“ Rußschwarzchen war begeistert. „Das ist mir auch schon mal passiert, als ich zu Hause auf unser Schuppendach klettern wollte. Das hat Mama gar nicht gefallen.“
Rosenbau staunte, dass ihr Freund das so schnell begriffen hatte. Aber sie kannte ihn gut genug um zu wissen, dass es in seinem zähen, nebelverhangenen Denken manchmal solche Lichtblitze gab.
Inzwischen begannen die Zwerge bereits, ihren Plan auszuführen. Der Prinz, Rosenblau und Rußschwarzchen versteckten sich in dem dichten Gebüsch, in dem der Prinz schon zuvor gekauert hatte, von dort aus hörten sie leise die Grabegeräusche im Waldboden. Wie die Zwerge mit ihren vermutlich winzgen Werkzeugen ein solches Tempo an den Tag legen konnten, blieb ihnen schleierhaft. Schon nach einer Viertelstunde kamen die sieben Männchen wieder zum Vorschein. Sie brachten einen kleinen Sack mit, den sie auf dem Boden abstellten, vermutlich genau über der Falle. Um den Sack herum nahmen sie im Kreis Platz, dann holten sie duftende Kekse aus dem Sack hervor und begannen zu schmatzen. „Hier haben wir unsere Zwergenkekse,“ brüllte ein Zwerg in den Wald hinein, so laut, dass es bestimmt nicht nur Rosenblau hören konnte. „Zwergenkekse sind unsere Spezalität, die schmecken so lecker, wie sonst nichts auf der Welt. Und wir haben sie erst gestern gebacken, sie sind noch ganz frisch.“
„Oh jaaaa!“, stimmten die anderen Zwerge mit lautem Geschrei zu. „Wir lieben unsere Zwergenkekse! Das gibt ein Festessen. Lecker!!!!“
„Warum schreien die so?“, fragte Rosenblau flüsternd, und der Prinz antwortete: „Ich glaube, die wollen die Räuber aus ihrer Höhle locken.“
Genau so war es auch. In der Höhle hörten die Räuber ebenfalls das Gebrüll von den leckeren Keksen, und es wären schlechte Räuber gewesen, wenn die sich die Kekse nicht sofort unter die Nägel hätten reißen wollen. Mit erhobenen Säbeln und Keulen stürmten sie hinter den Brombeeren hervor, die junge Hexe mittendrin. Die schlauen Zwerge aber ließen ihre Kekse rasch fallen und rannten davon. Sobald die Räuber ein paar Meter weit gekommen waren, gab der Boden unter ihnen nach, mit lautem Gepolter stürzten sie in eine unterirdische Grube. Durch ihr Gewicht war die dünne Erdschicht zusammengebrochen, eine Art Krater war entstanden, auf dessen Grund sie nun kreuz und quer über einander lagen. Vor Schreck suchten die Räuber ihr Heil in der Flucht, sie entdeckten auch bald zahlreiche kleine Gänge, die von dieser kraterähnlichen Grube abzweigten. So schnell sie konnten, zwängten sie sich in diese Zwergenstollen. Jeder Räuber (und auch die Hexe) versuchte es an einer anderen Stelle, aber die Gänge waren so klein, dass alle in ihnen stecken blieben. Die Hexe hatte zwar ihre geheimen Zauberkräuter in der Tasche, aber in dem engen Zwergenstollen war sie so eingezwängt, dass sie nicht an ihre Tasche kam.
Nachdem die Räuber so ausgeschaltet waren, nahm der Prinz Rosenblau an die eine, Rußschwarzchen an die andere Hand. Zu den Zwergen sagte er nur: „Folgt uns!“, und schon führte der Prinz alle seine Retter durch den Wald bis zum Schloss seines Vaters. Sollte er den Räubern von dort aus Hilfe schicken? Nein, er überließ sie ihrem Schicksal. Sie hätten ihn auch in der Höhle verrotten lassen, selbst wenn der Vater das Lösegeld gezahlt hätte. So hatte er sie sprechen gehört. Dann sollten die Räuber zur Strafe ruhig auch in den Zwergengängen feststecken und verschimmeln.
Und wie ist die Geschichte ausgegangen?
Schon bei ihrer ersten Begegnung im Dorf hatte sich der Prinz in das schöne Mädchen Rosenblau verliebt, und so bat er sie nun, seine Frau zu werden. Die beiden heirateten und lebten glücklich im Schloss. Rußschwarzchen durfte ebenfalls im Schloss leben und wurde zum königlichen Vorkoster ernannt – eine Aufgabe, die er mit großer Freude gewissenhaft ausführte. Und die Zwerge, deren unterirdische Behausungen durch den Einsturz stark beschädigt waren? Auch die blieben im Schloss und übernahmen das Kochen in der Schlossküche. Dort waren sie in Sicherheit, die böse alte Hexe würde sich nicht ins Schloss wagen, also würde sie nie ihren Zwergenzaubertrank kochen können.
Täglich buken die Zwerge im Schloss ihre berühmten Zwergenkekse, von denen Rußschwarzchen beim Vorkosten immer ganz besonders viele probieren musste. So lebten also alle glücklich, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben noch heute alle glücklich in diesem Schloss.

© 2017 Bertram der Wanderer und die Kinder der Ferienbetreuung Kirchheim bei München

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Gepostet am

18. November 2019

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